24h Betreuung
Shownotes
In der ersten Folge von KEIN DING! sprechen wir mit den beiden 24h-Betreuerinnen Roxana und Flory. Beide arbeiten aktuell für österreichische Klientinnen und pendeln in regelmäßigen Turnusabständen zwischen Rumänien und Österreich. Gemeinsam mit Flavia Matei von der Interessensgemeinschaft der 24h-Betreuerinnen, besprechen wir die Probleme der Branche, strukturelle Diskriminierung und Rassismen, Scheinselbstständigkeit und wofür Roxana und Flory die Zeit fehlt. Am Ende ist klar: es fehlt nicht an Fantasie, Referenzen oder Ideen für eine care-zentrierte Gesellschaft. Das System der 24h Betreuung ist politisch gewollt und funktioniert auf Kosten der Betreuer*innen. Es braucht klare Anstellungsverhältnisse, geregelte Arbeitszeiten am Tag und in der Nacht, Unterstützung von mobilen Pflegediensten und den Abbau von bürokratischen Hürden. Hört selbst!
Zu den Gäst*innen:
Interessensgemeinschaft der 24h-Betreuer*innen
Weitere Informationen:
Gute Sorge ohne gute Arbeit? Live-in-Care in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Herausgegeben von Brigitte Aulenbacher / Helma Lutz / Karin Schwiter
Wirtschaft neu ausrichten, Care Initiativen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Ein Sammelband herausgegeben von Uta Meier Gräwe, Ina Praetorius und Feline Tecklenburg
Sprecher*in: Maxi Ziegler
Studio: Radio Orange 94.0
Musik: Theresa Seits
Von der Europäischen Union finanziert. Die geäußerten Ansichten und Meinungen entsprechen jedoch ausschließlich denen des Autors bzw. der Autoren und spiegeln nicht zwingend die der Europäischen Union oder der Europäischen Exekutivagentur für Bildung und Kultur (EACEA) wider. Weder die Europäische Union noch die EACEA können dafür verantwortlich gemacht werden.
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Transkript anzeigen
00:00:00: Kein Ding, der feministische Podcast zu Care und Sorgegerechtigkeit.
00:00:19: Heute mit Flory und Roxana, zwei 24 Stunden Betreuer*innen und Flavia von der Interessensvertretung
00:00:25: IG24. Gemeinsam sprechen wir über das kaputte System der 24 Stunden Betreuung in Österreich.
00:00:36: Hallo und herzlich willkommen zur ersten Folge von Kein Ding, dem feministischen Podcast
00:00:46: zu Care und Sorgegerechtigkeit. Ich freue mich, dass wir starten können, dass wir das Thema aufmachen
00:00:53: können und zwar heute mit Roxana, Flory und Flavia zur Pflegegerechtigkeit und zu Anfang möchte ich euch
00:01:00: bitten, einmal kurz ein paar Sätze zu euch zu sagen, euch vorzustellen und was euch mit dem Thema verbindet,
00:01:07: vielleicht gleich. Mein Name ist Roxana. Ich bin 54 Jahre alt. Ich arbeite seit fast 17 Jahren in
00:01:17: Österreich in der 24 Stunden Betreuung. Davor habe ich auch zehn Jahre in Deutschland gearbeitet und habe
00:01:26: ich schon gesagt, ich bin 24 Stunden Betreuerin und arbeite in diesem Bereich und wenn ich
00:01:31: Freizeit habe, dann berate ich auch meine Kolleginnen, welche Probleme mit Gesetz oder in die Arbeit hat.
00:01:41: Roxana ist aber auch sehr zurückhaltend, weil sie eigentlich auch eine der Gründerinnen von IG24 ist
00:01:49: und auch von der rumänische Betreuungs-Community DREPT pentru îngrijire, die vor IG24 aktiv war.
00:01:59: Ja, danke, Flavia.
00:02:01: Ja, dazu hören wir heute, glaube ich, noch sehr viel. Ja, Flory.
00:02:06: Ja, ich bin Flory. Ich bin auch 24 Stunden Betreuung seit acht Jahren in Österreich und ich hoffe,
00:02:18: dass ich noch weiterhin in diesem Bereich arbeiten kann.
00:02:22: Ja, ihr habt es gerade schon gehört. Flavia wird für heute auch übersetzen.
00:02:27: Dank, dass du das machst und danke Roxana und Flory, dass ihr bereit seid, hier mit mir zu sprechen
00:02:33: und dass ihr gerne eure Perspektiven teilen wollt. Ihr habt beide gesagt, ihr seid 24 Stunden Betreuer*innen.
00:02:38: Flavia, was ist dein Arbeitsalltag?
00:02:40: Ich bin beruflich ganz woanders. Ich bin Architektin und unterrichte an der Kunstuniversität in Linz.
00:02:46: Ich bin ganz zufällig in dieser Bewegung gelandert, würde ich sagen.
00:02:52: Ich bin Aktivistin und rumänische Staatsbürgerin und das war mein erster Bezug zu der rumänischen Betreuungs-Community.
00:03:00: Ich habe sie kennengelernt, als die Familienbeihilfe indexiert wurde und das hat mich damals sehr empört.
00:03:09: Ich habe geschaut, was die Reaktionen in der rumänische diaspora waren und auch damals waren die Betreuer*innen sehr laut.
00:03:17: Und die haben auch damals sehr klar gesagt, dass dieses Gesetz diskriminierend war und rassistisch und so.
00:03:23: Und ich habe einfach meine Unterstützung angeboten und aus diesem Kontakt sind viele Freundschaften entstanden
00:03:30: und eine tolle Zusammenarbeit und auch die IG24.
00:03:35: Bevor wir da einsteigen, vielleicht noch mal die Frage an Roxana und Flory, wie sieht denn euer Arbeitsalltag aus?
00:03:41: Mein Tag beginnt in der Früh. Ich bereite das Frühstück für meine Klient*innen vor.
00:03:50: Dann wecke ich sie auf, wir essen gemeinsam und dann beginnt das Staatsprogramm.
00:04:00: Ist das bei dir ähnlich, Roxana?
00:04:02: Normalerweise sind wir die ganzen Tage beschäftigt. Wir haben nur zwei Stunden Pause.
00:04:09: Das ist gleich nach dem Mittagessen normalerweise.
00:04:12: Und vormittags sind wir beschäftigt mit Frühstück, mit der Toilette, mit dem Pflegebedarf der Kunden.
00:04:20: Und dann Mittagessen, Hausarbeit, das heißt, wir machen im Haus alles, was wir sollten machen, aber das hängt auch von dem Pflegebedarf der Kunden ab.
00:04:36: Und nach dem Mittagessen natürlich haben wir zwei Stunden Pause, aber dann fängt wieder ein Programm an.
00:04:45: Wir trinken einen Kaffee zusammen nach der Pause und auch nach dem Mittagsschlaf von unseren Kunden.
00:04:53: Verschiedene Spiele spielen, oder fernseherschauen, reden, lesen.
00:05:00: Bei Bedarf organisieren wir Besuche.
00:05:04: Wenn notwendig, holen wir die Rezepte beim Arzt und Medikamente in der Apotheke ab.
00:05:11: Wir kümmern uns um die soziale Bedürfnisse von unseren Kunden.
00:05:17: Dann am Abend folgt ein Abendessen und nachher wir wieder fernseherschauen, reden, lesen.
00:05:25: Folgt auch Schlafzeit, Vorbereitung, Abendpflege, Hautpflege und absolut alles, was Pflege für unsere Klienten bedeutet.
00:05:37: Wir sind erst frei, wenn unsere Kunden zu Bett gehen und das kann 20, 22, manchmal 23 Uhr bedeuten.
00:05:48: Dann sind wir frei und können uns um unsere persönliche Bedürfnisse kümmern.
00:05:57: Und magst du beschreiben auch, wie es in der Nacht ist?
00:06:00: Das ist auch unterschiedlich vom Fall und Fall.
00:06:04: Wir sind glücklich, wenn wir ruhige Klienten haben und wir können in der Nacht schlafen.
00:06:12: Aber es könnte auch anders sein und unsere Klienten uns wecken in der Nacht.
00:06:19: Und wir dürfen zwei, drei Mal für Bedürfnisse von unseren Klienten aufstehen.
00:06:28: Das ist sehe ich wie Roxana, weil ich in der Nacht noch einen anderen betreuungsbedürftigen Person gearbeitet habe.
00:06:39: Die bettlägerig war und selbstverständlich war das Alltagsprogramm dort ganz anders.
00:06:45: Also eigentlich braucht dieser Beruf sehr viel Flexibilität und Anpassungsfähigkeit.
00:06:53: Weil natürlich jeder Mensch anders ist und der gesundheitliche Stand oder das soziale Umfeld von jedem Betreuete anders ist.
00:07:02: Also die Kolleginnen müssen sich immer sehr gut anpassen, sehr einfühlsam schauen,
00:07:09: wie das familiäre Umfeld ist, wie die Kommunikation läuft, was die Bedürfnisse sind.
00:07:15: Es ist immer eine sehr lange Eingewöhnungszeit, bis alle diese Nuancen und Kleinigkeiten gelernt werden.
00:07:25: Und eine Basis für eine weitere Arbeitsbeziehung.
00:07:29: Wir sprechen immer über Arbeitsverhältnis, weil letztendlich ist das eigentlich Arbeit.
00:07:35: Aber das ist an sich sehr schwammig, weil natürlich ist es auf einer Seite Arbeit, auf der anderen Seite.
00:07:42: ist es irgendwie Beziehungsarbeit.
00:07:44: Ich glaube auch, dass Sorge ganz viel mit Beziehungsarbeit zu tun hat.
00:07:49: Eine Frage, die mir gerade noch bekommen ist, Roxana und Florie,
00:07:52: war es schwer für euch heute die Zeit zu finden für das Interview?
00:07:56: Wir nehmen gerade mittags auf.
00:07:58: Es war nicht schwer, weil ich bin zu Hause in Rumänien.
00:08:03: Für mich war es nicht schwer, aber ich glaube, dass für Flory ist ein bisschen anders, weil sie ist gerade in der Arbeit ist.
00:08:10: Für Flory ist es nicht so einfach. Sie ist gerade in der Arbeit, also im Turnusplatz.
00:08:19: Sie hat gerade ein bisschen Stress, weil sie gehört hat, dass jemand ins Haus gekommen ist.
00:08:24: Aber sie ist gerade in der Mittagspause, also eigentlich nicht in Bereitschaft.
00:08:30: Es soll in Ordnung sein.
00:08:32: Dann hoffen wir mal, dass das funktioniert.
00:08:34: Und Flory, wenn es nicht geht, einfach Bescheid sagen.
00:08:36: Oder wenn du schauen musst, genau.
00:08:38: Aber da sind wir vielleicht schon auch beim nächsten Thema. Was sind denn die Probleme der Branche?
00:08:45: Der aktuelle Stand in der 24-Stunden-Betreuung ist sehr prekär, meine Meinung nach.
00:08:57: Wir bekommen kaum Unterstützung, was soziale Absicherung betrifft, aber auch von Behörden und von staatlichen Stellen.
00:09:08: Wie kann ich sagen, die 24-Stunden-Betreuer, die die Hörtesarbeit leisten,
00:09:17: arbeiten 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche, 3, 4 und sogar 4 Wochen am Stück.
00:09:26: Diejenigen, die mit den kranken Menschen arbeiten werden schlecht bezahlt,
00:09:32: haben schlechte Arbeitsbedienungen, haben keine Absicherung und arbeiten in volliger Abhängigkeit und Unterordnung von den Vermittlungsagenturen und ihrem Klienten.
00:09:47: Die 24-Stunden-Betreuerinnen sind das schwächste Glied und haben die geringste Entscheidungsbefugnis in diesem ungleich Dreieck.
00:10:00: Vermittlungsagenturen, Familien und 24-Stunden-Betreuer.
00:10:06: Die Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, dass es keine klare Gesetz gibt, die die Tätigkeiten in dieser Beranche der 24-Stunden-Betreuung regeln. SIe kommen nicht in die Genus der Absicherung.
00:10:20: Die Renten sind sehr niedrig und reichen nicht aus, um eine angemessene Lebensunterhalt zu verbinden.
00:10:29: Es gibt auch keine Gesetze Arbeits- und Ruhezeit zu regeln.
00:10:36: Und die 24-Stunden-Betreuer sind mit einem hohen, biografischen Aufwand konfrontiert.
00:10:45: Und die Brache stellt ein echtes Hindernis für uns.
00:10:50: Ein anderes Probleme ist, dass es auch keine Gesetze gibt, die die Tätigkeiten der Agenturen regeln und kontrollieren.
00:10:58: Obwohl die 24-Stunden-Betreuer*innen die Hauptlast der Arbeit tragen, sind sie am meisten gefordert und am wenigsten geschützt.
00:11:08: Wir brauchen wirklich klare Gesetze, um uns zu schützen und unsere Lohn- und Arbeitsbedingungen, Ruhezeit und Nachtzeit zu regeln.
00:11:20: Weil ehrlich gesagt, wir haben ein langes Programm, lange Arbeitszeit.
00:11:27: Manchmal sollen wir ein, zwei, drei Mal in der Nacht aufstehen und zwei, drei oder vier Wochen lang, sieben Tage pro Woche, 24 Stunden pro Tag arbeiten, das ist nicht leicht.
00:11:42: Ist leider nicht leicht.
00:11:44: Und nach meiner Meinung, um ein gesundes Pflegesystem zu haben, brauchen wir das 24 Stunden Betreuerinnen und Betreuer angestellt arbeiten.
00:11:56: Unsere Interessen als 24 Stunden Betreuer, stehen in Konflikt mit Interessen unserer Agenten.
00:12:04: Um ein gerechtes Pflegesystem für alle zu haben, ist es notwendig, dass die Betreuerinnen und Betreuer angestellt werden.
00:12:18: Wir wissen, dass für unsere Klienten das ist nicht möglich, denn das würde Kosten bedeuten, die sie nicht leisten können.
00:12:29: Aber es ist auch nicht richtig, dass die 24 Stunden Betreuerinnen und Betreuerinnen keine freien Arbeitsbedingungen haben.
00:12:40: Ich glaube, dass zufriedene Kunden oder Klienten auch zufriedene Betreuerinnen und Betreuer brauchen.
00:12:50: Das glaube ich auch.
00:12:51: Und ich finde es sehr wichtig, dass du sagst, für ein gesundes Betreuungssystem braucht es einen Kollektivvertrag, braucht es eine Anstellung.
00:12:58: Könnt ihr nochmal kurz erklären, wie das System aktuell in Österreich läuft und was Scheinselbstständigkeit in der Branche bedeutet?
00:13:08: Also das aktuelle System ist 2007 zustande gekommen.
00:13:12: Das heißt, dass die gesamte österreichische Politik, egal von welcher politischen Farbe, hat in den letzten 15 Jahren die Augen vor dieser Situation verschlossen.
00:13:26: Wir haben jetzt ein System, das sich selbstständig nennt.
00:13:31: In der Tat ist es eigentlich sehr weit entfernt davon.
00:13:35: Warum ist es zustande gekommen?
00:13:37: Weil diese Art von Betreuung hat, wie die Kolleginnen beschrieben haben, 24 Stunden Arbeitszeiten.
00:13:45: Und das kollidiert natürlich mit dem jetzigen Arbeitsrecht.
00:13:48: Natürlich wollten die Sozialpartner des Arbeitsrechts schützen und quasi dieses Türchen nicht öffnen oder diese Präzedenz in einem Beschäftigungsverhältnis nicht ermöglichen.
00:14:01: Die ursprüngliche Argumentationsgründe kann man nachvollziehen.
00:14:05: Was aber daraus entstanden ist, ist ein selbstständiges Modell, das sehr weit weg von irgendwelchen Selbstständigkeiten ist.
00:14:16: Und ich beschreibe das immer mit einem Beispiel oder ich erkläre das immer mit einem Beispiel.
00:14:21: Wenn ich als Architektin selbstständig arbeite, ich kann selbst bestimmen, wie viele Aufträge ich übernehme, mit wie vielen Auftragnehmer*innen ich arbeiten möchte.
00:14:33: Ich kann selber bestimmen, was mein Einkommen ist.
00:14:37: Ich sage diesen Monat übernehme ich vier Aufträge, nächsten Monat zwei, übernächsten Monat mache ich Pause, weil ich genug verdient habe.
00:14:45: Ich entscheide, ob ich zu Hause bei mir arbeiten möchte oder ich in einem Co-Working-Raum oder in dem Büro von meinem Auftraggeber*innen.
00:14:56: Und ich entscheide, ob ich heute zehn Stunden arbeite, morgen zwölf, übermorgen zwei.
00:15:02: Das heißt eigentlich Selbstständigkeit.
00:15:05: Niemand darf mich kontrollieren.
00:15:07: Ich habe komplette Entscheidungskraft und Bestimmunsfähigkeit über meine berufliche Tätigkeit.
00:15:14: Die Betreuer*innen sind an eine Person gebunden, an einem Arbeitsplatz gebunden und an einem fixes Programm gebunden.
00:15:22: Da haben sie überhaupt keine Möglichkeit selbst zu bestimmen.
00:15:27: Noch dazu, sie haben ein fixes Einkommen.
00:15:29: Es ist oft so, dass eine Betreuer*in jahrelang bei betreuender Person arbeitet.
00:15:36: Das heißt, dass jahrelang sie jeden Monat oder jeden zweiten Monat, weil es immer diese Abwechslung mit Turnus und Turnuspause gibt, ein fixes Einkommen bekommt.
00:15:48: Dafür muss man überlegen, die Betreuer*innen arbeiten in Turnussen von zwei bis vier Wochen.
00:15:56: Sie verdienen zwischen 65 bis 100 Euro pro Tag.
00:16:01: Wenn man das durch 24 Stunden dividiert, kommt man zu einem 3 bis 4 Euro Stundenlohn.
00:16:09: Das ist noch brutto.
00:16:11: Davon muss man noch SVS-Beiträge abziehen, vielleicht Steuer, wenn sie mehr verdienen, WKO-Mitgliedschaft, Transportkosten und alles, was vielleicht noch dazukommt.
00:16:23: Und der letzte Punkt, was sie dann letztendlich netto haben, ist oft zwischen 1500 bis 2000, und das soll für zwei Monate gelten.
00:16:34: Weil sie wechseln sich immer ab.
00:16:36: Sie arbeiten einen Monat oder zwei Wochen und dann zwei Wochen machen sie Pause.
00:16:40: Die rumänische Betreuer*innen arbeiten durchschnittlich vier Wochen und dann haben sie wieder vier Wochen Pause.
00:16:45: Also letztendlich verdienen sie zwischen 800 und 1000 Euro pro Monat.
00:16:52: Und mit so einem Gehalt oder Honorar kann man in Österreich nicht leben.
00:16:58: Österreich hat eigentlich ein System kreiert, mit dem man in diesem Land nicht leben kann.
00:17:04: Und das ist seit 15 Jahren einfach toleriert.
00:17:08: Ich merke, das macht mich selbst sehr wütend.
00:17:11: Die Ungerechtigkeit läuft noch weiter.
00:17:14: Es ist irgendwie ein Teufelskreis, aus dem die Betreuer*innen nicht rauskommen können.
00:17:20: Ich komme zurück zu dem Stundenhonorar.
00:17:24: Weil sie so wenig verdienen, zahlen sie sehr niedrige SVS-Beiträge.
00:17:30: Weil sie so wenige Sozialversicherungsbeiträge zahlen, bekommen sie am Ende der beruflichen Zeit absurd niedrige Pensionen.
00:17:40: Nach zehn Jahren Arbeit bekommt eine Betreuerin vom Stadt Österreich 100 Euro pro Monat Pension.
00:17:46: Und diese zehn Jahre muss man sich auch überlegen sind, nicht vergleichbar mit einem Bürojob.
00:17:55: Also das kommt viel mit körperlicher Anstrengung.
00:17:58: Also das hat eine starke Auswirkung auf den Körper, auf den mentalen und emotionalen Zustand der Betreuer*innen.
00:18:06: Also oft werden Betreuer*innen krank als Konsequenz des beruflichen Tätigkeits.
00:18:14: Und dann gibt es auch keine Absicherung.
00:18:16: Und dann sind sie mit Altersarmut konfrontiert sogar.
00:18:19: Wer profitiert denn von diesem System?
00:18:23: An erster Stelle profitiert von diesem System die Agenturen.
00:18:28: Für sie ist die 24-Stunden-Betreuung zu einem sehr lukrativen Geschäft geworden.
00:18:37: Und sie haben den Markt in diesem Bereich beherrscht.
00:18:42: Auch wenn theoretisch wir könnte privat arbeiten, wir finden keine Plätze.
00:18:49: Weil die Markt für 24-Stunden-Betreuung ist schon beherrscht von diesen Agenturen.
00:18:57: Weil es sind fast 1000 Vermittlungsagenturen in Österreich.
00:19:02: Auch der österreichische Staat profitiert davon, dass es das billigste System der Arbeit für die Kunden und für die Staat auch.
00:19:13: Und es ist auch für unsere Kunden profitabel, eine persönlicher Assistenz zu haben,
00:19:19: der, der im Alter alt und hilflos ist und zu seinen eigenen Bedienungen in der eigenen Wohnung lebt, ist ein Luxus.
00:19:30: Ein Luxus, die sie in Pflegeheim nicht genießen können.
00:19:36: Und den sie auch billig bezahlen.
00:19:40: Von diesem Geschäft profitieren nur die anderen und die 24-Stunden-Betreuer*innen, welche so schwer arbeiten.
00:19:50: Die hat nur Probleme, niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedienungen.
00:19:56: Und auch später ganz niedrige Rente.
00:20:01: Exakt,
00:20:06: Also wir sind für die Vermittlungsagenturen eine Gewinnmöglichkeit,
00:20:11: weil das ist für sie einfach schnelles Geld, ohne groß leisten zu müssen.
00:20:18: Und die Agenturen sehen die Betreuerinnen nicht als gleichwertige Vertragspartnerin.
00:20:28: Ja, schnelles Geld auf Kosten der 24-Stunden-Betreuerinnen und möglich nur, weil der österreichische Staat seine Fürsorgepflicht nicht nachkommt
00:20:38: und auch nur mit struktureller Diskriminierung in dem ganzen System.
00:20:43: Richtig. Ich glaube, das ist so die Zusammenfassung zu deiner Frage.
00:20:49: Wer profitiert von diesem System? Alle Beteiligten außer der Betreuerinnen profitieren von diesem System.
00:20:57: Weil auf einer Seite die österreichische Familien oder Betreuerenden haben Zugang zu einem Luxusbetreuungssystem, würde ich sagen,
00:21:05: wenn man eine Person die ganze Zeit für sich selbst hat, aber dafür sehr wenig zahlt.
00:21:12: Die Agenturen haben ein Geschäftsmodell entwickelt.
00:21:16: Roxana hat schon erzählt, es gibt circa 900 Agenturen in Österreich.
00:21:22: Für so ein kleines Land ist das absurd viel. Das zeigt eben, dass dieses Geschäftsmodell extrem profitabel ist.
00:21:29: Und der Staat Österreich gewinnt auch, weil die Politik muss sich mit diesem Thema nicht kümmern.
00:21:37: Es ist immer, jedes Mal, wenn wir politische Verhandlungen haben oder versuchen, irgendwelche systemische Änderungen zu schaffen,
00:21:45: sind wir immer mit der Antwort konfrontiert: aber sie sind Selbstständige.
00:21:49: Es ist eine sehr klare Position, wo der Staat zu nichts verpflichtet ist
00:21:56: und diese Verantwortung und dieses Gewicht tragen die Betreuerinnen auf ihre Schultern.
00:22:03: Dass ist auch noch mal ein guter Hinweis, weil das System der Scheinselbstständigkeit auch in mehreren Ländern diskutiert wird,
00:22:11: es funktioniert in der Realität nicht, es funktioniert nur auf den Kosten von anderen und dass immer dieselben Personen da sehr viele Nachteile tragen müssen.
00:22:21: Richtig. Es ist besonders schwierig mit diesem System, weil wir die Kolleginnen schon beschrieben haben, es gibt eine gewisse Sprachbarriere in der Branche.
00:22:29: Es gibt ein begrenztes Verständnis in Bezug auf das administrative System in Österreich.
00:22:36: Das macht reagieren sehr schwierig. Wenn Sie in Österreich sind, sind Sie immer in einem privaten Haushalt für die Bedürfnisse der Betreuung da.
00:22:46: Sie haben diese Möglichkeit kaum, zu Behörden zu gehen, sich informieren oder beraten zu lassen, sich Infomaterialien zu holen, ins Gespräch mit Behörden zu kommen.
00:22:58: Das gibt es bei Ihnen nicht.
00:23:00: Während Sie in diesem Land sind, sind Sie ein Betreuungsplatz und wenn Sie nicht arbeiten, dann sind Sie in einem Heimatländer zu Hause.
00:23:07: Es gibt auch sehr große Hindernisse, um sich in die österreichische Gesellschaft oder ins System integrieren zu lassen, mit einer Sprachbarriere und mit diesen Arbeitszeiten.
00:23:17: Und so wie das System konzipiert ist, ist es kaum möglich.
00:23:21: Es wird von Ihnen absurd viel verlangt und trotzdem immer vorgeworfen, warum sie den Vertrag unterschrieben haben, wenn der so benachteiligend ist?
00:23:32: Warum hast du das und das? Warum verhandelst du nicht höhere Honorare für dich?
00:23:36: Die Schuld tragen immer die Betreuer*innen auf ihre Schultern, obwohl das System sie in eine Situation drängt, wo sie kaum Möglichkeiten haben, eigentlich.
00:23:45: Roxana und Flory, wollt ihr noch was dazu sagen, wie ihr Ungerechtigkeit und auch Diskriminierung in Österreich im Alltag erfahrt?
00:23:53: Ich weiß nicht mehr, wo die Diskriminierung beginnt und wo sie endet.
00:23:59: Zum Beispiel, wir fühlen uns in den Wohnungen unserer Klienten diskriminiert,
00:24:05: wenn unsere Räume die kleinsten, dunklensten und am schlechtesten beheizbar sind.
00:24:13: Ja, wir-
00:24:15: Wir fühlen uns diskriminiert, auch wenn wir Arbeitsverträge unterschreiben und den Unterschied zwischen unseren Lohn und dem Lohn derjenige feststellen, die im Pflegesystem beschäftigt sind.
00:24:30: Wir fühlen uns in der staatlichen Behörde diskriminiert, wo uns kaum geantwortet wird, weil wir nicht so gut Deutsch sprechen.
00:24:42: Wir fühlen uns bei der Pflegereform diskriminiert, als wir nicht in die Reform einbezogen wurden, weil wir unwichtig, nicht wichtig genug waren.
00:24:54: Darum das sage ich, ich weiß nicht mehr, wo die Diskriminierung beginnt und wo sie endet.
00:25:02: Wir fühlen die Diskriminierung überall.
00:25:07: Wir sind in generell gestresst und Flory sagt, es beginnt schon mit der Distanz oder der Ferne zu der eigenen Familien, die Schwierigkeiten, die sie in Bezug zu jedem anderen betreuenden Personen haben und mit der Arbeitsbelastung.
00:25:28: Sie sieht auch so ein bisschen eine Art von Diskriminierung, dass die Klientinnen und ihre Angehörigen hier in Österreich einfach nicht wahrnehmen, was die Betreuer*innen mit sich tragen, wenn sie hier arbeiten.
00:25:45: Vielleicht kann ich auch von der strukturellen Seite etwas ergänzen, weil ich komme immer wieder zu dem selbstständigen Modell.
00:25:52: Auch die Bekämpfung der Diskriminierung oder der Gewalt am Arbeitsplatz stößt an die Grenze des selbstständigen Modells.
00:26:05: Wir haben immer wieder Kolleg*innen, die zum Beispiel Gewalt am Arbeitsplatz erleben, sexuelle Gewalt am Arbeitsplatz erleben, von Seiten den Klienten oder von den Angehörigen sogar, manchmal auch Gewalt seitens der Kontaktpersonen und von den Vermittlungsagenturen.
00:26:24: Und wir versuchen diese Fälle zu melden und das ist sehr schwierig.
00:26:28: So das möchte ich auch vom Anfang an betonen. Ich bin 100% sicher, dass der Großteil der Kolleginnen kommen nicht mal zu uns und sprechen diese Themen an.
00:26:38: Und die sehr Wenigen, die zu uns kommen und bereit sind, eine Anzeige zu stellen oder eine Beschwerde- die wird strukturell nicht unterstützt.
00:26:48: Wir hatten Kolleginnen, die eben mit Gewalt konfrontiert wurden. Ich habe versucht bei dem Frauenhaus in der Ortschaft anzurufen, damit wir so schnell wie möglich die Betreuerin aus dieser Situation holen.
00:26:59: Und die Antwort war, das ist nicht die richtige Zielgruppe.
00:27:03: Weil die Erklärung damals war, ich versuche, ich bin keine Juristin, aber ich versuche so gut wie möglich zu beschreiben, das ist ein Arbeitsverhältnis.
00:27:12: Das ist keine persönliche Beziehung zwischen dem Täter und dem Opfer. Und dadurch sind die Frauenhäuser nicht zuständig.
00:27:19: Wir wurden an die Arbeiterkammer weiter verwiesen. Wir haben die Arbeiterkammer kontaktiert. Die Antwort war, die sind nicht unsere Mitglieder.
00:27:26: Es ist, und das haben sie auch bestätigt, es ist Gewalt am Arbeitsplatz, aber sie sind nicht zuständig.
00:27:30: Die WKO hat keine Stelle für solche Situationen.
00:27:35: Und die Empfehlung war, das sie als Gewerbetreibende jederzeit das Verhältnis beenden und einfach weggehen können.
00:27:42: Aber wir sprechen über Migrantinnen, die in diesem Land sind, um zu arbeiten. Wo sollen sie hin?
00:27:49: Ja, und ich glaube, wenn man in die richtige Zielgruppe fallen muss, dass man von Gewalt betroffen sein darf, offiziell, und dass das Menschen sehen, das zeigt, dass da was Grundlegend falsch ist.
00:27:58: Richtig.
00:28:00: Es gibt Menschen, die nicht abgesichert sind in irgendeiner Art und Weise und selbst in Krisensituationen durch alle Netzwerke fallen und keine Unterstützung erfahren.
00:28:08: Es ist tatsächlich so, wir haben versucht, sogar bei der Gleichbehandlungsanwaltschaft diese Fälle zu melden. Und die waren sehr freundlich und sehr hilfsbereit.
00:28:16: Aber letztendlich sind sie auch nur für Arbeitnehmer*innen zuständig. Also genau diese Situation und diese Gruppe ist einfach in keiner Weise geschützt.
00:28:28: Boah, das ist so schrecklich und auch so erschreckend, wie effizient dieses System funktioniert.
00:28:36: Und das ist natürlich keine Möglichkeit, einfach mal so den Vertrag zu kündigen und dass das ja auch tatsächlich keine Selbstständigkeit ist, sondern dass man auch von den Agenturen verantwortlich ist.
00:28:46: Und wenn der Lohn eh so gering ist, wie kann denn dann ein Monat überbrückt werden, wenn kein Geld da ist?
00:28:52: Richtig. Und es geht sogar weiter.
00:28:56: Viele Vermittlungsagenturen haben in dem Vertrag, der sowohl von Betreuer*innen als auch von Agenturen unterschrieben wird, Penalstrafen.
00:29:04: Also wenn die Betreuer*innen diese festgestellte Kündigungsfrist nicht einhalten und früher kündigen, die müssen tatsächlich die Agentur was zahlen.
00:29:14: Also es ist in allen Arten und Weisen ein absurdes System, das ganz, ganz, ganz offensichtlich die Betreuer*innen benachteiligt.
00:29:24: Und jedes Mal, wenn wir versuchen, in Dialog mit der Politik das zu beschreiben und zu erklären und mit Beispielen und sogar mit Kolleginnen, die bei diesen Gesprächen dabei sind aus der Branche und so,
00:29:37: es kommt immer diese Antwort "Ihr seid Selbstständige, ihr dürft selber entscheiden".
00:29:42: Und damit ist das Thema abgeschlossen.
00:29:45: Also diese Seite der Schein-Selbstständigkeit und dass die Realität eigentlich ganz weit weg von diesem System ist, wird nie thematisiert.
00:29:54: Es ist so traurig, es ist glaube ich immer dasselbe irgendwo auch, aber das ist schon ein Fall, glaube ich, oder das ganze System ist so offensichtlich kaputt.
00:30:04: Das es mich erstaunt, dass es so viele Jahre schon läuft und wahrscheinlich auch in Zukunft laufen wird.
00:30:11: Und Roxana, du meintest, dass du auch in Deutschland gearbeitet hast vor deiner Stelle in Österreich. Möchtest du noch erzählen, was da vielleicht die Unterschiede sind oder was dich dazu bewegt hat, dann nach Österreich auch zu kommen?
00:30:26: Ich bin in Österreich gekommen, weil in Deutschland sollte ich längere Zeit arbeiten. Dort sind die Turnusse viel länger oder waren viel länger.
00:30:37: In der Zeit, die ich dort gearbeitet habe, waren drei Monate frei und nachher waren die Turnusse von zwei Monaten und das war für mich viel zu lang.
00:30:52: Und der Grund warum ich in Österreich gekommen bin ist, dass die Turnusse nur zwei Wochen waren.
00:30:58: Ich habe lange Zeit von 2007 bis zur Pandemie in 2020 in zwei Wochen Turnus gearbeitet.
00:31:08: Und jetzt ist das nicht mehr so möglich. In Pandemie haben wir längere Turnusse gemacht, die Situation war anders
00:31:20: und wir sollten uns immer testen und so weiter. Die Familie hat uns auch das Testen bezahlt und das war zu teuer für die Familie.
00:31:31: Und aus diesen Gründen haben wir in der Pandemie einen vier Wochen Turnus gemacht.
00:31:37: Nach der Pandemie hat die Familie oder unsere Klienten nicht mehr so leicht akzeptiert, dass wir zwei Wochen Turnus machen wollen,
00:31:49: es nicht ein und dasselbe wenn die Fahrkosten alle zwei Wochen zahlen oder alle vier Wochen.
00:31:57: Das war der Grund für den ich nach Österreich gekommen bin.
00:32:03: Aber in Deutschland ist es ein bisschen anders.
00:32:06: Was war der Unterschied? Ich kann Ihnen erzählen nur von meiner Erfahrung.
00:32:13: Dort habe ich zehn Jahre lang gearbeitet, habe ich nur drei Fälle gearbeitet und ich war immer unterstützt von einem Mobildienst.
00:32:25: Und unsere Aufgaben waren nicht so schwer wie in Österreich und die Verantwortung war nicht so auf unseren Schultern.
00:32:35: Ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen könnten.
00:32:38: Ich habe einfach so gefühlt, dass die Familien mehr impliziert waren.
00:32:44: Hier in Österreich kommst du und okay, habe ich eine Betreuung, die sollte alles machen.
00:32:50: Sie ist die Antwort, hat alle Verantwortung und Schluss. Die Familie hat nichts mehr zu tun.
00:32:56: Dort haben wir auch Hilfe von der Familie gehabt oder ich habe Hilfe von der Familie gehabt.
00:33:03: Und immer, wenn ein Probleme war, ein Gesundheitsproblem, dann habe ich diesen Pflegedienst angerufen und die sind gleich gekommen.
00:33:15: Das war für mich eine Erleichterung in Deutschland. Ich habe gewusst, dass wenn es Probleme gibt, jemand wird mich unterstützen.
00:33:23: Aber in Österreich tragen wir alle Verantwortung und wir sollen alle Probleme selber lösen. Das ist mein Eindruck.
00:33:34: Ich glaube, es ist auch ein Thema, dass Pflege und Betreuung, obwohl rechtlich sehr klar voneinander getrennt ist, in der Realität zusammenlaufen.
00:33:46: Es hat auch mit dem System zu tun. Theoretisch sollte 24 Stunden Betreuung nur Unterstützung und Begleitungsdienstleistung heißen.
00:34:00: So Unterstützung mit dem Alltag, mit sozialen Kontachten, mit Kochen, mit Putzen. Das ist eigentlich Betreuung.
00:34:08: In der Realität die große Mehrheit der Kolleginnen betreuent kranke Menschen oder Menschen mit einer gesundheitlichen Diagnose.
00:34:17: Das ist eigentlich nicht mehr Betreuung. Oft müssen sie eben Medikamente verabreichen.
00:34:25: Es gibt auch Situationen, wo Betreuerinnen von den Angehörigen oder von den Agenturen gezwungen werden, auch pflegerische Tätigkeiten durchzuführen, was sie eigentlich nicht dürfen.
00:34:37: Es wird einfach von den Betreuungskräften erwartet, dass sie alles tun.
00:34:44: Man beauftragt eine Person und bekommt eigentlich eine Superheldin, die gleichzeitig auch Pflegerin ist und Psychologin, wenn möglich, Köchin, und Therapeutin, und beste Freundin und, und, und, und.
00:35:01: Und wenn es möglich ist, dass sie auch vielleicht das Gras mit und vielleicht mit den Tieren am Bauernhof helft oder den Dachboden putzt, dann ist es noch besser.
00:35:13: Und das sind Beispiele, die bei uns in der Beratungstätigkeit tatsächlich vorgekommen sind. Also ich erzähle keine Geschichte oder keine Märchen hier.
00:35:21: Also das ist einfach das Bild, was in Österreich so projiziert wird.
00:35:27: Und da muss ich auch sagen, die österreichischen Familien haben keine Schuld, weil das ist tatsächlich, was auch in den Medien vorkommt und was seitens der Politik kommt.
00:35:39: Die 24 Stunden Betreuer*innen sind die ganze Zeit für sie da und unterstützen Sie mit allen Angelegenheiten.
00:35:46: Es wird einfach dieses falsches Bild projiziert, obwohl die rechtliche Situation klar ist.
00:35:52: Und dann müssen die Betreuer*innen selber in diesem privaten Haushalt und mit den Angehörigen und allen verhandeln und erklären, dass die Situation eigentlich anders ist und, und, und.
00:36:03: Es ist eine extrem schwierige Position, wenn sie keine systemische Unterstützung haben oder keine systemische Klarheit.
00:36:09: Und wie können wir denn an diesem Bild irgendwie rütteln?
00:36:13: Oder was wären die Vorstellungen von dem System, in dem es besser läuft? Gibt es da Ideen bei euch?
00:36:19: Natürlich gibt es Ideen. Vielleicht merkst du auch, dass wir viel Wut und Frust und Enttäuschung haben und unsere Stimmen zittern jedes Mal, wenn wir über die Bedingungen in der Branche sprechen.
00:36:32: Ich glaube, in der Diskussion vergessen wir immer andere Akteur*innen zu nennen, die eigentlich eine sehr große Verantwortung in dieser Landschaft haben.
00:36:42: Und hier spreche ich über die Arbeiterkammer oder ich spreche über die Gewerkschaft oder ich spreche über sozialdemokratische oder linke Parteien in diesem Land, die sich theoretisch für Arbeitnehmer*innen einsetzen.
00:36:57: Alle diesen Stellen haben 15 Jahre diese Situation ignoriert und es darf einfach nicht sein. Es darf einfach nicht sein und es darf nicht sein, dass die Interesse der Klient*innen wichtiger als die Interesse der Betreuer*innen sind,
00:37:11: weil es gibt keine qualitative Betreuung ohne gute Arbeitsbedingungen.
00:37:16: Und wir sehen auch von Seite der Familien, es gibt auch von ihrer Seite sehr viel Frust und Unzufriedenheit mit dem System und mit den Arbeitsbedingungen.
00:37:26: Also es ist nicht so, dass die ganze Gesellschaft mit der Situation zufrieden ist. Nein.
00:37:31: Aber die sind auch hilfslos, weil wie kann man dieses etablierte System bekämpfen als private Person?
00:37:38: Sollten sie auch nicht. Dafür gibt es eben die Arbeiterkammer, die Themen, wie die Scheinselbständigkeit eigentlich ansprechen und dagegen politisch lobbyieren sollte.
00:37:50: Und deswegen gibt es die Gewerkschaft um für Arbeitende zu kämpfen, die eben in eine Scheinselbständigkeit gedrängt sind.
00:37:57: Dafür gibt es auch die politischen Parteien. Und ich glaube, die Situation ist so, dass die Betreuer*innen alleine nicht schaffen, dieses System zu kippen.
00:38:07: Wir sind als IG24 zu klein, die Betreuer*innen sind zu wenig und unsere Ressourcen oder Möglichkeiten oder den Spielraum an sich ist für uns viel zu klein.
00:38:19: Und da brauchen wir alle Beteiligten aus der Zivilgesellschaft um Druck mit uns auszuüben.
00:38:25: Das heißt, alle Arbeiterkammermitglieder sollen Briefe und Mails an die AK schreiben, dass sie mit der Situation unzufrieden sind und die AK drängen dieses Thema anzusprechen.
00:38:38: Alle Parteimitglieder sollten sich an ihre Sektionen oder parteilichen Gruppierungen melden und verlangern, dass die Partei eine Position zu dem Thema hat.
00:38:50: Genauso die AK oder Gewerkschaftmitglieder sollen einfach Briefe und Mails an die Gewerkschaft schreiben und verlangen, dass hier auch Änderungen geschaffen werden.
00:39:02: Und solange dieser Druck nicht entsteht, bleibt die Situation noch 15 Jahre so.
00:39:08: Wir haben alles versucht, was von unserer Seite irgendwie möglich war.
00:39:13: Wir waren in den Medien, wir waren bei politischen Verhandlungen, wir haben uns mit allen politischen Steakholders und Akteur*innen getroffen und versucht,
00:39:22: die Situation zu beschreiben, genau wie wir es heute auch hier machen.
00:39:29: Letztendlich bleibt uns nur zu klagen, das machen wir auch.
00:39:34: Wir starten gerade ein paar Prozesse, um die Scheinselbstständigkeit zu beweisen.
00:39:39: Aber auch wenn wir diese Urteile haben, muss die Politik endlich aufwachen.
00:39:44: Da bleiben mir, glaube ich, selbst auch die Worte weg, irgendwie mit dieser Finalität von "Wir können eigentlich nicht mehr machen".
00:39:53: Ich habe gerade überlegt, in meinem Kopf kommt manchmal auch so dieses große Wort "Streik", aber es ist im Pflegebereich einfach auch schwierig.
00:39:59: Und streiken geht nur, wenn eine Gewerkschaft dahinter ist und diese Person absichert.
00:40:04: Also ich finde es einfach unfair, den Betreuer*innen zu verlangen, dass sie streiken auf Kosten der eigenen Familien eigentlich oder eigenen Lebensbedienungen.
00:40:16: Ich glaube schon, dass es möglich ist, irgendwann mal in der Zukunft, aber dafür müssen noch viele Schritte dazwischen passieren.
00:40:23: Und damit meine ich eben diese Unterstützung von Sozialpartner*innen.
00:40:28: Vielleicht auch nochmal Roxana und Flory, wenn wir jetzt an die Zukunft denken, uns versuchen, gedanklich so ein bisschen raus zu bewegen aus dieser sehr ausweglosen Situation.
00:40:42: Wie würdet ihr euch denn die Arbeitsbedienungen vorstellen, damit sie gut werden, damit sie gerechter werden und für was hättet ihr denn dann vielleicht auch mehr Zeit?
00:40:51:
00:40:55: Also zuerst müssen wir uns um uns kümmern. Dafür haben wir gerade überhaupt keine Zeit.
00:41:02: Also wir müssen uns um uns kümmern und um unsere Familien.
00:41:09: Wenn du mich fragst, wie ein perfektes Pflegesystem für mich wäre, dann wäre es ein System in welcher angestellte Arbeit eingeführt ist.
00:41:22: Dass wir auch geschützt von Gesetz und Regeln sind und auch gute Arbeitsbedienungen und richtige Löhne und auch richtige Rente haben können.
00:41:37: Das wäre für mich ein gerechtes System. Für mich, ein gerechtes System ist das, wenn alle wissen genau, was sie zu tun haben und macht nur das, was sie wirklich zu tun hat.
00:41:48: Und nicht, okay, bist du da, kannst du das auch.
00:41:51: Ist nicht so viel, wenn du noch für eine Person kochst oder was ist das, wann du noch ein Hemd bügelst.
00:41:59: Meine Aufgabe sollte meine Aufgabe sein und nicht immer noch etwas dazu.
00:42:04: Weil unser ist Beruf nicht anerkannt, so zu sagen.
00:42:11: Wir sind Menschen, welche alles machen sollten. So ist das für uns.
00:42:17: Und was hätte ich mit mehr Zeit oder für was brauche ich mehr Zeit, ist so, wie hat schon die Flory gesagt, für meine eigene Leben.
00:42:28: Weil jetzt arbeiten wir ständig, Turnus-Pause, Turnus-Pause und wir vergessen, zu leben.
00:42:35: Wir leben nur für unsere Kunden und für unsere Familien.
00:42:39: Weil weißt du, wann du in der Pause bist, fühlst du Schuld, das hast du nicht genug Zeit für die Kinder gehabt, du hast nicht genug Zeit für die Familie gehabt.
00:42:49: Versuchst auch das Korrigieren und wir vergessen einfach, dass wir nur eine Leben haben.
00:42:58: Wir vergessen Wünsche zu haben, Träume zu haben. Wir vergessen von uns selbst.
00:43:05: Nach allem, was ihr heute erzählt habt, es ist so schwer ins Träumen zu kommen und auch selbst Wünsche zu haben und auch zu wissen, dass die eine sehr große Berechtigung haben.
00:43:17: Und wenn wir zurückkommen, dass Care Beziehungsarbeit ist, dass Betreuung Beziehungsarbeit ist, dann ist es natürlich auch die Fürsorge für einen selbst und dass man auch für andere Menschen eigentlich nur da sein kann, wenn man auch für sich selbst da ist und dass das in dem System einfach überhaupt nicht funktioniert.
00:43:34: Vielleicht komme ich ein bisschen so von der pragmatische Seite, obwohl wir alle so ein bisschen Träume in den Augen haben.
00:43:43: Ich glaube, die Gestaltung der Zukunft ist nicht so unmöglich, wie es vielleicht jetzt scheint oder wie die Politik in Österreich es gerne hätte, dass wir glauben, dass es nicht so ist.
00:43:56: Es gibt genug Alternativen. Wir haben selber als IG24 die Studien von Betreuungsmodellen europaweit gemacht und konkrete Vorschläge entwickelt.
00:44:08: Es fehlt uns nicht an Fantasie und es fehlt nicht an Referenzen und es fehlt nicht an Ideen. Es fehlt an politischem Willen.
00:44:14: Und ich glaube, hier ist der Punkt, wo wir immer zurückkommen müssen. Es fehlt an politischem Willen.
00:44:22: Und das ist für mich besonders nach der Pandemie die große Frage, wie stellen wir uns als Gesellschaft Pflege vor oder wie stellen wir uns als Gesellschaft das Alter vor?
00:44:36: Welche Grundrechte haben wir als Menschen, wenn wir im Senior*innen werden oder wenn wir Unterstützung als Senior*innen haben werden?
00:44:45: Und was sind Grundrechte oder was sind faire Erwartungen und was soll uns der Staat sichern?
00:44:52: Und wenn wir wirklich zu dem Konsensus kommen, dass Pflege kein Geschäft sein sollte, sondern wirklich ein Grundrecht ist, genauso wie Bildung oder das öffentliche Verkehr oder Gesundheit,
00:45:05: genau so ist Pflege ein Grundrecht, nachdem ich jahrelang mein ganzes Leben Steuer bezahlt habe und meine Rolle in dem System, in meinem Beruf und und und geleistet habe,
00:45:18: dann ist es mir das Recht, als Senior*innen Unterstützung zu bekommen und einfach ein würdiges Leben in dem Alter zu haben.
00:45:27: Und wenn wir zu diesem Konsensus kommen, dann muss eigentlich die ganze Pflegelandschaft anderes gestaltet werden.
00:45:34: Und hier ist, glaube ich, ist die große Challenge. Die aktuelle Pflegereform ist viel zu wenig, ist eigentlich nur peanuts.
00:45:42: Das ist keine tatsächliche Reform. Das sind minimale Änderungen in einem kaputten System. Das ist nicht ausreichend und das kann man nicht Pflegereform nennen.
00:45:53: Also, ich glaube, wir brauchen wirklich diese Diskussion als Gesellschaft und dann konkrete Schritte einsetzen.
00:46:01: Wir brauchen keine peanuts. Wir brauchen einen Systemwandel. Ihr habt es gehört. Sprecht das Thema an. Leitet es weiter.
00:46:07: Es braucht große politische Akteur*innen, die das Thema nicht freiwillig ansprechen. Es braucht Druck. Es braucht dranbleiben.
00:46:14: Am Ende unserer Folge jetzt, wenn sich Personen weiter zu dem Thema informieren wollen, wo können sie das denn tun?
00:46:23: Sie können uns auf unserer Website finden. Das ist www.ig24.at. Wir können uns eine E-Mail schreiben, an kontakt@ig24.at.
00:46:33: Wir sind relativ aktiv auf Social Media, abhängig von unseren aktuellen Ressourcen und zeitlichen Ressourcen.
00:46:41: Aber auch wenn wir vielleicht die E-Mails ein, zwei Tage später antworten, wir bemühen uns alle E-Mails zu beantworten.
00:46:49: Und genau, sonst können wir uns auch bei uns im Büro am Schottentor treffen.
00:46:54: Also wir stehen gerne zur Verfügung. Wir brauchen immer neue Freiwillige oder Personen, die sich in Beratungstätigkeiten,
00:47:02: Kommunikationstätigkeiten, also alle Vereinstätigkeiten engagieren.
00:47:07: Und wir brauchen Spenden, damit wir diese Arbeit weiterhin sichern können.
00:47:13: Dann ein ganz großes Danke, dass ihr euch die Zeit genommen habt, gerade auch Flory, dass du deine Mittagspause mit uns verbracht hast.
00:47:20: Danke Flavia, dass du ins Studio gekommen bist und danke Roxana, dass du dich auch aus Rumänien dazu geschalten hast.
00:47:25: Ich glaube, es ist ganz viel Berührendes in dieser Folge gekommen.
00:47:29: Und ich bin total dankbar, dass ihr die Perspektiven geteilt habt und dass damit der Auftakt zu mehr Bewusstsein,
00:47:39: zu Care & Sorgegerechtigkeit gelungen ist und dass wir weiter gemeinsam kämpfen werden.
00:47:43: Dankeschön.
00:47:45: Das war's für heute. Dieser Podcast ist eine Kooperation zwischen dem Konzeptwerk "Neue Ökonomie" in Leipzig und dem Kollektiv Periskop in Wien.
00:47:58: Gefördert werden wir über das Erasmus+-Programm der EU.
00:48:02: Wenn ihr uns unterstützen möchtet, hinterlasst uns gerne eine positive Bewertung, abonniert die care_werkstatt auf Instagram und empfehlt den Podcast weiter.
00:48:13: Wir freuen uns auch immer über Post, Sprachnachrichten und Inspiration an.
00:48:18: Podcast@Kollektiv-Periskop.org
00:48:22: Bis zur nächsten Folge. Danke für nichts. Kein Ding.
00:48:27: [Musik]
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